Ellen Babić

Die Lehrerin Astrid und ihre ehemalige Schülerin Klara leben schon seit vielen Jahren zusammen. Eines Abends bekommen sie Besuch von Wolfram, Astrids Vorgesetztem. Er hat sich selbst eingeladen, um eine heikle Angelegenheit in Bezug auf die Schülerin Ellen Babić zu besprechen, die – wenn sie denn wahr ist – strafrechtlich verfolgt werden müsste. Und für Astrid rechtliche Konsequenzen hätte. In kürzester Zeit wird das Wohnzimmer der beiden Frauen zu einem #MeToo-Kampfplatz um Deutungshoheit, Macht und Schuld bzw. Unschuld. Drei gleichwertig starke Parteien kämpfen um ihr Überleben: mit ungewissem Ausgang ...
Marius von Mayenburg hat mit ELLEN BABIĆ ein feinnerviges Kriminalstück geschrieben, das mit jedem Glas Wein zunehmend ins Bedrohliche kippt. Wer hat was getan? Wer lügt und wer sagt die Wahrheit? Und ist es möglich, aus diesem abgründigen Beziehungsgeflecht siegreich hervorzugehen?
- Regie:
Thomas Jonigk,
- Bühne:
Lisa Däßler,
- Kostüme:
Esther Geremus,
- Kostüm-Mitarbeit:
Maria-Lena Poindl,
- Musik:
Julian Stetter,
- Licht:
Marcus Loran,
- Dramaturgie:
Jeroen Versteele,Markus Edelmann,
Besetzung
- Wir gratulieren unserem Ensemblemitglied Dörte Lyssewski herzlich zu der Auszeichnung SCHAUSPIELERIN DES JAHRES der Ö1 Hörspielredaktion!
Das Haus meiner Großeltern mütterlicherseits lag laut Landkarte anderthalb Meter unter dem Meeresspiegel. Auf diese tiefgrünen norddeutschen Wiesen ging das Küchenfenster des Hauses hinaus. In der Ecke dieser Küche stand ein großer Zauberkasten, der mir-neben Büchern- die Welt erschloss.
Wenn das große Röhrenradio der Großeltern angeschaltet war, ließen die Vibrationen von Stimmen, von Musik die gewobene Stoffmembran zart erzittern. Die darunterliegenden Tasten sahen aus, als wären sie aus kostbarem Elfenbein, und wenn man sie drückte, hörte man das leise Knarzen einer feinen Metallfeder, die nach zartem Widerstand mit einem ebenso leisen Klick einrastete. Dann lag es nur noch an mir, behutsam nach einem Sender zu suchen. Tauchte er auf, erschrak ich fast immer, als sei ich in eine Veranstaltung oder ein Gespräch, eine Verabredung hineingeplatzt , als drehten sich alle zu mir herum, und setzten dann, nachdem ich die Augen schamvoll niederschlagen hatte, das Geschehen oder ihr Tun fort. Auch gab es am Apparat Rädchen für sogenannte Höhen und dank dieser gelang es mir plötzlich, den Klang eines Tones, sei es den eines Menschen oder den eines Instrumentes, zu verändern. Wie ein Gott. Wie ein Zauberer. Aus dem Innenraum des Gehäuses strömte weiches, warmgelbes und einladendes Licht. Es war offensichtilich bewohnt von winzig kleinen Menschen, die von dort heraus zu mir sprachen, sich dort trafen und musizierten. Waren sie fertig, ging meistens das Licht aus. Doch wo gingen sie hinaus? In welches Zuhause gingen sie?
Wo wohnten solche Wesen? Das war alles schwindelerregnd. Ich versuchte, durch die schmalen, horizontalen Lichtspalte einen Blick auf die Orchester hinter den kleinen Schaumstoffstückchen, die wohl als Dämmungswände dienten, zu erheischen. Für mich bestand das Orchester aus in Frack gekleideten hingebungsvollen Musikern in einem Orchestersaal. In einem Sendesaal. Ich sah sie. Aber vielleicht war das auch nur meine Einbildung. Während der Musik versank mein Blick als kleines Kind oft auf und in den magischen Namen, die unterhalb des vibrierenden Stoffes auf der glänzenden Oberfläche des Apparates standen: klingende,verheißungsvolle fremde Namen einer verheißungsvollen,fremden und betörenden Welt, die irgendwie zu dem Apparat gehörte und die die gesamte Küche (bei richtiger Gelegenheit) wohl dorthin katapultierte, oder zumindest, so meine Gedanken, mich. Oder vielleicht nur meinen Kopf. Luxemburg erschien da, was immer das sein mochte, Cairo, Bruxelles, Bordeaux, Berlin, Paris, Roma, Nizza, Hannover, Monte Carlo, Budapest, Hilversum, Praha oder Innsbruck stand da. Je nach Bearbeitung der weißen Tasten leuchtete dann jeweils ein neben jedem Namen befindliches Kästchen rot auf. Eine geheime, verführerische Welt. Dicht über den cremefarbenen Tasten waren kryptische Abkürzungen zu finden. Ich hatte Angst, sie zu drücken, da möglicherweise etwas Unabänderliches nie Wiedergutzumachendes passieren würde: MW, UKW, LW sowie EIN und AUS stand da. Alles war kostbar. Nicht umsonst stand da wohl auch in großen Lettern JUWEL auf dem Apparat. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dort hineinkriechen zu können, Teil davon zu sein zu können.
Später stand der Apparat als Erbe bei mir im Kinderzimmer und das zweite Wunder geschah. Ich hatte einen Sender eingestellt, in dem man nur in Englisch zu mir sprach. Ich wusste natürlich schon vor der Schulzeit (von Songs aus dem Radio und ersten Platten, The Beatles, The Philadelphia Sound, die mir mein Vater im Alter von fünf Jahren schenkte, warum auch immer...), dass es diese Sprache gab und fühlte mich während des Hörens sehr privilegiert. Ich verstand nicht viel, doch irgendwie immer ein bisschen mehr. Nur durch das Zuhören. Noch heute habe ich die Titelgebende Melodie, den Jingle von BFBS UK im Ohr. Dann, eines Nachmittages, ich merkte mir sofort den Wochentag und die Uhrzeit, ertönte eine beschwingte Melodie auf dem Sender, es gab eine Ansage und plötzlich drangen Dialoge, Situationen an mein Ohr, Dramen spielten sich ab, enterten mein Gemüt und leiteten diese Eindrücke bis in mein Herz. Ich befand mich plötzlich dank dieser englischen Hörspiele in Zimmern, Wohnungen, Häusern, Landschaften: Nahe an so etwas wie: Tee, der in Tassen gegossen wurde, sich nähernden Schritten auf dem Kies, auf-und zugehenden Türen, anfahrenden Autos, Schüssen, Gebrüll, Meeresrauschen, Kirchenglocken, Kindergeschrei, Schreibmaschinengeklapper und Rauch, der in Ringen hörbar bis in meine Lungen geblasen wurde. Ich war beglückt und fassungslos, dass es möglich war, ganz ohne ein Bild, diese realen Welten erscheinen zu lassen. Davon wollte ich mehr. Diese Stimmen und Töne, diese Welten, die da zu mir sprachen, erfanden mich. Sie erschufen mich und meine Phantasie. Immer wieder. Genau wie es durch Bücher geschah.
Sie legten ungeahnte Assoziationen frei. Was konnte man anscheinend alles erfinden, sagen, was alles verlautbaren durchs Radio! Zeitgleich brachte mein Vater (der selbst widerum als Adoleszent mit einem selbstgebastelten Detektorradio heimlich verbotenen Jazz gehört hatte; ich entdeckte das Teil irgendwann in seiner Nachttischschublade) er also brachte eines Tages aus seinem Büro ein Tonbandgerät nach Hause mit einem eleganten, externen Mikrofon, mit dem ich spielen durfte. Sofort, und das scheint ein neuzeitlicher "Ur"-trieb zu sein, nahm ich Situationen auf, verstellte die Stimme, es wurde Musik aus dem mittlerweile von meinen Eltern angeschafften Transistorradio als Intermezzo aufgenommen, oder ich sang selbst Schlager und Songs in wilder Mischung, oft in einem Phantasiedeutsch, als muntere Unterbrechung des selbsterfundenen "Programms".
Besagtes Transistorradio wurde übrigens bis zum Tode meiner Eltern morgens als allererstes, noch vor dem Kaffeekochen, angeschaltet und taktete unseren Tag mit Nachrichten, Informationssendungen, Musik und natürlich, am Wochenende, Sportnachrichten, die aus einem winzigen angeschraubten Radio schallten und auf dem Boot während des Segelns gehört wurden. Doch zurück zum Tonband: Allein, und das zeigt, wie alt ich schon bin, die Novität, dass ich Musik aufnehmen und dadurch wiederholt hören konnte, riss mich hin. Wieder und wieder hörte ich die selbsternannten Lieblingslieder, eigentlich reine Zufallstreffer. Stunden, Tage vergingen so. Man konnte ja immer wieder neu aufnehmen- bis das Band riss. Nichts schien wichtiger und sinnvoller, als sich mit-zuteilen, sich zu adressieren, die Stimme an (in diesem Fall nicht existierende) andere zu richten, ihnen zu erzählen, im brennenden Wunsche, sie mögen mir zuhören. Und wenn nicht, war es auch egal. Das Aufgenommende wurde dann natürlich oft nur den entnervten Eltern vorgespielt, die abwinkten und zum Abendbrot riefen. Später war es genau diese Zeit nach dem Abendbrot, die zur wichtigsten überhaupt wurde. Zumindest zwischen 12 und 17 Jahren. Ausgestattet mit frischen Kassetten und riesigen Kopfhörern, saß ich nach den 18h-Nachrichten vor dem Radio, mittlerweile Bestandteil einer großen Stereoanlage, und hörte die Charts, abwechselnd aus UK und den USA. Meine ganze Popsozialisation wurde durch das Radio gespeist. Mangels Taschengeldes und Möglichkeiten, an die immer neuesten LPs oder Kassetten zu kommen, nahm ich wie fast alle meine Freunde wild aus dem Radio auf (heute nennt man das compilation). Das gekrümmte victory-Zeichen, bestehend aus Zeige- und Mittelfinger, war unser Werkzeug: Play und Aufnahme gleichzeitg drücken! Yeah! Einziger Feind, der die ganze Stimmung vermasseln konnte, war nur der Verkehrsfunk, der die Aufnahmen abrupt unterbrach, und das meist nur wegen irgendeines Geisterfahres, der mich tränenüberströmt oder groovend harsch aus meinem Sentiment herausriss. Diese barbarische Zerstörung der Songs konnte man dann nur durch panikartiges Drücken der PAUSE-Taste verhindern.
Die Faszination dieses Mediums ist bis heute, bis hier und jetzt, geblieben. Das Mikrofon bedeutet eine Spezialherausforderung, die man lieben muss. Diese Konzentration, diese Verdichtung vor dem erbarmungslosen Seismographen, den ein Mikrofon verkörpert, dieses Kolben-Facettenauge, das bei mir meistens noch aus akustischen Gründen mit einem runden vorgelagerten Gitter versehen wird, um allzu heftigste Konsonanten zu bändigen, und das dann immer ausschaut, als hätte es eine graue Aureole. Es ist eine Alarmanlage für feinste Unstimmigkeiten, ein akustischer Lügendetektor. Im besten Falle jedoch geleitet es meine Stimme nah heran an das Ohr eines oder einer Geneigten, dem oder der ich mich mitteilen darf. Wilhelm von Humboldt sagt : "Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken. Durch die Sprache erreicht der Mensch die Welt. Sie macht beide einander ähnlicher. Sprache ist der Schlüssel zur Welt."
Ja , der Mensch denkt, fühlt und lebt allein in oder vielleicht durch die Sprache. Wir haben die Sprache und können sie teilen. Mit-teilen. Und: Sie ist ganz kostenlos. Vor dem Hintergrund der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und insbesondere des Holocausts und seiner Folgen wurde meine Generation, deren Großeltern und Eltern jene Welt noch miterlebt haben, geprägt durch die Gedanken der Aufklärung mit den Mitteln der Bildung, Ausbildung, WeiterBildung, als Antidot gegen derartige destruktive und menschenverachtende Mechanismen. Ob aus uns wirklich bessere Menschen wurden, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich kann es nur lebenslang versuchen durch Arbeit an mir selbst- und, kraft meines Berufes, mich in diesem Sinne an andere zu verströmen. Zuzuhören, Zuhören zu können, ist mittlerweile eine immer seltenere, doch unabdingbare Voraussetzung für ein soziales Miteinander. Zuhören schafft Orientierung. Gestattet anderen, sich zu verlautbaren, Standpunkte zu begreifen oder ggf.zu widerlegen. Nicht umsonst wird zB.in Resozialisierungsmaßnahmen oft das simple Zuhören trainiert, das Geltenlassen eines anderen bzw.einer anderen Meinung.
Im absolut und fraglos schützenswerten Rahmen des Radios hingegen geht es natürlich nicht um Meinungen, sondern um eine möglichst komplexe und vielschichtige Durchdringung:. Im Falle des Journalismus um eine zu findende und zu beschreibende Darstellung der Wahrheit auf der Basis von Fakten. In der Literatur sind wir, die Sprecher, Anwälte der Autoren und ihrer Entwürfe von Welt. Im Grunde ist genau das ein für eine soziale und diskursfähige Gesellschaft demokratiestärkender Vorgang. Sprache ist freilich auch immer offen für Definitionen, siehe leider auch den Missbrauch an dieser, die bewusste Verstümmelung, Instrumentalisierung und Erosion von Sprache bei den Rechtspopulisten.
Ein unabdingbarer, hochzuschätzender Faktor in unserem, in meinem Tun ist Zeit. Doch in unserem System bedeutet Zeit immer auch Geld. Und doch, und das ist mir wichtig, zu sagen: Sprache braucht Zeit. Gedanken brauchen Zeit. Sich zu informieren, zu recherchieren braucht Zeit. Durchdringung braucht Zeit. Also das Gegenteil der omnipräsenten, grassierenden Beschleunigung, Rastlosigkeit und Hast. Hast und Hetze liegen schon als Worte sehr nahe beieinander. Erkenne man die Notwendigkeit der Institution Radio, für welche die geteilte, mit-geteilte Zeit ein lebenswichtiges Grundelement ist!
Ich glaube fest daran: Ich habe durch das Gehörte , durch intensives Zuhören, die Chance, neu zu hören, neu zu denken, nachzudenken, neu zu sprechen. Und widerum Zeit, anders zu empfinden. Zeit schafft die Möglichkeit zur Besonnenheit. Pausen werden für uns durch das Radio hörbar. Hörbar als unabdingbarer Teil der Sprache und des Denkens, der Verständigung, der Diskussion und des Lebens. Die Stille wird hörbar. Erfahrbar. Die Stille zwischen dem Lebenstakt des Einatmens und Ausatmens. Die Stille zwischen Fragen, Deuten, Benennen. Das Ausatmen benutzen für Klang. Was für ein Geschenk der Schöpfung! Klang, der zur Sprache wird. Der Sinn wird. In der Pause dazwischen, den Pausen dazwischen, definieren wir die Welt: uns, unser Miteinander, Wert und Bedeutung.
Ingeborg Bachmann
Die Welt ist weit
und die Wege von Land zu Land,
und der Orte sind viele,
ich habe alle gekannt,
ich habe von allen Türmen Stätte gesehen,
die Menschen, die kommen werden
und die schon gehen.
Weit waren die Felder von Sonne und Schnee,
zwischen Schienen und Straßen,
zwischen Berg und See.
Und der Mund der Welt war weit und voll Stimmen
an meinem Ohr
und schrieb, noch des Nachts, die Gesänge der Vielfalt vor.
Mein Dank geht an Regina und Alina Fritsch und an den ORF, in diesem Falle ganz speziell natürlich an Kurt Reissnegger von Ö1, und insbesondere an die vielen engagierten Redakteure und Redakteurinnen, die mir wieder und wieder ihr Vertrauen schenken und mir so viele wunderbare Texte unterbreiten, denen ich mich dann annehmen darf, die ich entdecken, sprechen, verkörpern darf: ob Lyrik, Prosa, Feature oder Hörspiel. Mein tiefer, innigster Dank geht an Sie! Die Zusammenarbeitet mit Ihnen ist immer eine sehr schöne und sehr lustvolle!
Ich werde, solange man mich lässt, versuchen, ein guter Anwalt, ein guter Botschafter des Wortes zu sein.
Man hindere uns nicht durch politische, inhaltliche oder finanzielle Zensur, unserem Bildungsauftrag und der unabhängigen Information gewissenhaft und professionell nachzukommen.
Wie schwach muss man sein, wieviel Angst muss man haben, wenn man uns, wenn man den ORF einschränken will.
Danke!
TEASER












